„Ich habe den Kunstbetrieb häufig als snobistisch erlebt.“
Altersgruppe
66-75
Wie bist Du zur Kunst gekommen?
Ende der 70er Jahre traf sich ein kleiner Kreis aus Kunst- und Grafikstudent:innen. Über einer ehemaligen Fischräucherei in Ottensen mieteten wir Räume, diskutierten, entwarfen und veröffentlichten politische Plakate. Wir nannten uns das *WERKHAUS*. 1981 konzipierte ich den Spruch »Stell Dir vor, es ist Krieg und Keiner geht hin.« als Mauerparole. Das Foto meiner Sprühschrift an der Wand des Bunkers auf dem Heiligengeistfeld sowie mein Plakat mit der Mauergrafik gingen viral. Seit diesen Jahren faszinierte mich die visuelle Sprache der Subkultur. Ihre Ästhetik und expressive Unmittelbarkeit – sie interessierten mich als eigenständige kulturelle Verständigungs-Codes. Ausdrucksmöglichkeiten neben der Sprache der Worte. Ich war eher introvertiert und suchte nach Möglichkeiten des Selbstausdrucks. Allerdings war ich hin und hergerissen zwischen politischer Botschaft und l'art pour l’art. Zwischen John Heartfield und den Dadaisten. Es war die Zeit der »Neuen Wilden«. Parallel dazu die Zeit der »Neuen Deutschen Welle«. Ich fand Ausstellungen in Kellern und Hinterhöfen. Ich sog die Atmosphäre auf, die freie Malerei, freche Texte, Performances, Free Jazz, Licht-installationen, splitternde Sektgläser und all die schnöden Herablässigkeiten schriller Persönlichkeiten verströmten. Die Aufbruchstimmung war ansteckend. Sie befreite mich von Kopfgeburten, Ideologien, Botschaften und von grafischer Konvention. So begann ich 1983 mit freier Kunst. Ich malte wild drauflos. Einzig roter Faden war die Neugier darauf, was als nächstes entstehen würde. Zum Vorschein kamen vorbewusste innere Bilder, Erinnerungen, Bewegungen und Dynamiken. Im gestischen Malen, Kratzen, Zeichnen und neu Zusammenfügen erlebte ich zum ersten mal künstlerischen Flow. Er wurde zum Rausch. Zum Akt der Befreiung. Mögliche Deutungen dessen, was ich da aus meiner Innenwelt archäologisch freilegte, stellte ich hinten an. Und die Werktitel? Ich liess mich von ihnen überraschen. Sie flogen heran. Im Nachhinein. Spontan, assoziativ. Meine erste Einzelausstellung 1989 nannte ich »Spaziergänge von der rechten und die linke Gehirnhälfte«. Später formulierte ich meinen Arbeitsansatz entsprechend: »Meine künstlerischen Arbeiten sind Zufallsfunde – aufgelesen während zahlreicher Spaziergänge in den Wäldern meiner rechten und linken Gehirnhälften.« Heute kommt es mir bisweilen vor, dass ich einen Abstecher zurück zu meinen Ursprüngen mache. Als würde sich ein Kreis schließen. Politische und zwischenmenschliche Konflikte, Klimakatastrophe, Ukrainekrieg und gesellschaftliche Diskriminierungen treiben mich nach wie vor um. Sie drängen mir Bildideen auf. Ich empfinde ich es als Notwendigkeit sie umzusetzen. Und so male und zeichne ich neben meiner intuitiv-expressiven Malerei zwischendurch auch wieder gegenständlich.
Welchem Themenfeld der Ausstellung fühlst Du Dich mit deinen Arbeiten am ehesten zugehörig?
Kritik am Kunstmarkt
Warum hast Du Dich auf „Imagine Transparency" beworben?
Mir gefiel der selbstkritische Blickwinkel hinter der Idee von »Spieglein, Spieglein…«. das kurativ scheint über den eigenen Tellerrand hinausblicken zu wollen. An den Persönlichkeiten hinter Kunst interessiert zu sein. Das fand ich sympathisch. Es war wohltuend, dies von Ausstellungsmacher*innen zu lesen. Unsicherheiten nicht bloß nur auf Seiten der Kunstschaffenden mitzubekommen. Ich habe den Kunstbetrieb häufig als snobistisch erlebt. Der künstlerische Stammbaum scheint wichtiger zu sein als das Schaffen und die Wirkung. Als Meisterschüler*in scheint man ein lebenslanges Gütesiegel zu besitzen – egal wie intensiv das Studium betrieben wurde. Ohne ein derartiges Etikett erntet man häufig mitleidige Blicke. Wenn überhaupt. Apropos Etiketten…: Wie in allen Kreisen, in denen Berühmtheit alles gilt und mit Persönlichkeit verwechselt wird, ist in der Kunstszene Smalltalk die Hyperschmiere. Narrative sind umso effektiver, wenn sie sich möglichst kurz + knapp weiterplaudern lassen. Etwa so: »Das ist XY, der / die macht immer das und das…«. Jemand wie ich, dessen Schaffen sich nicht auf eine Kurzformel runterbrechen lässt, hat es da eher schwer. Ich selbst fühle mich ehrlich gesagt in keiner Schublade wohl. Für die einen bleibe ich bis an mein Lebensende derjenige, der »Stell Dir vor, es ist Krieg und Keiner geht hin.« berühmt gemacht hat – egal, was ich seither geschaffen habe. Für andere bin ich derjenige, der ganz erstaunlich auf transparenten Folien malt. Wieder anderen kriegen bei mir gar nix auf die Kette: meine Kunst ist mal abstrakt, mal gegenständlich, politisch, dekorativ, philosophisch, unernst, expressiv, bunt, minimalistisch… Das reinste Positions-Chaos… Wenn Künstler:innen es schaffen, sich zu etablieren, sagt dies meiner Meinung nach kaum etwas darüber aus, ob ihre Werke innovativ sind, ob sie inspirieren, berühren, ob sie eine konzeptuelle Tiefe oder intellektuelle Herausforderung bieten. Es zeigt zunächst nur, dass er / sie selbst, oder jemand im Umfeld, eine Galerie vielleicht,… das Vermarktungs- und Aufmerksamkeitshandwerk beherrscht. Ich vermute, dass sich weit mehr als 90% der Kunstschaffenden für dieses Handwerk nicht gerüstet sieht. Oder nicht bereit ist, so unfassbar viel Zeit darein zu investieren. Schließlich bedeutet es Zeitaufwand, der vom Eigentlichen abhält. Oder nicht willens ist, marktgemäß zu funktionieren. Letzteres finde ich zwar sympathisch. Andererseits sehe ich darin ein echtes Handicap auf dem Weg zum Wahrgenommenwerden. Es ist ein echtes Dilemma, in dem man sich ohnmächtig gefangen fühlt. Und so behalten die Akteure des sekundären Kunstmarkts ihren Nimbus. Sie können weiter behaupten, dass sie es sind, die der Welt die heilige Kunst bringen. Ihnen wird weiterhin die Deutungshoheit darüber zugestanden, was als »gute« Kunst, genial und einzigartig zu gelten hat. Schließlich noch die Altersfrage. Offenbar besteht heute nur Aussicht darauf, zu Lebzeiten wahrgenommen zu werden, wenn man unter 35 entdeckt und raunend herumgereicht wurde. Blöd, dass ich nun bereits auf die 70 zugehe. Als ich mit 29 mit freier Kunst begann, war ich sehr mit mir selbst beschäftigt. Ich verachtete alles, was mit Werbung, Verkauf und Selbstvermarktung zu tun hat. Folgerichtig bekamen nur wenige um mich herum meine Kunst zu sehen. Zugegebenermaßen ein echtes Eigentor. Auch heute sind meine Arbeiten keinem größeren Publikum bekannt. Ich bin zwar in bescheidenem Rahmen recht umtriebig und tu, was ich kann, um meine Arbeit sichtbarer werden zu lassen. Doch für einen Preis, eine Projektförderung oder sonstige andere Wertschätzung hat es bisher noch nicht gereicht. Die Musik spielt irgendwie immer woanders… Gründe genug, um mich durch den Open Call angesprochen zu fühlen. Vielleicht ein weiterer kleiner Schritt heraus aus Nische und Bubble hin zum Wahrgenommen werden.
Kurzbeschreibung Deines eingereichten Projekts:
Ich bewerbe mich mit zwei aktuellen Projekte. Sie stehen für die Spannbreite meines aktuellen Schaffens und sind mir beide gleich wichtig. 1. Werkserie »Desillusionierung« – Gesichter, 2022 Die aus neun Arbeiten bestehende Werkserie entstand intuitiv und absichtslos. Einziges Vorhaben war es, in gestisch unterschiedliche Gesichter zu kreieren. Die Parallel-Produktion lief über mehrere Tage. Zunächst wurden die Rückseiten der Folien bemalt. Abschließend wurden auf der Vorderseite Feinheiten herausgearbeitet. Als ich mir das Ergebnis anschaute, entdeckte ich bei allen Charakteren eine Gemeinsamkeit: ich nahm den Ausdruck einer gewissen Desillusionierung wahr. 2. »Aus allen Wolken« + »menschlich werden«, 2022 + 2023 In diesen Arbeiten unterstreicht die Transparenz des Malgrunds das Thema der Werke. Sie illustrieren die Leere bzw. das Fallen ins Nichts sowie den Zustand des Noch-Nicht-Seins… Die Inspiration zu den Arbeiten »Aus allen Wolken« verdanke ich dem niederländischen Maler und Kupferstecher Hendrick Goltzius (1558 bis 1616). Vorlage waren die zwei Grafiken »Ikarus« und »Phaethon« aus der Serie »Vier Stürzende«. Für mich eine faszinierend passende Allegorie für die Folgen menschlicher Hybris den Naturgesetzen und -gewalten gegenüber. Die Arbeit »menschlich werden« ist als Kommentar zur aktuellen Gender- und Rassismus-Debatte zu verstehen.
Was oder wen siehst Du aktuell nicht in „der Kunstszene“ bzw. was fehlt Dir?
In Deutschland sind Urban-Art bzw. die Werke von StreetArt-Künstler*innen nicht als Kunst anerkannt. Ein absolutes Unding !! Darüber hinaus fehlen mir konkret: – viel, viel, viel mehr bezahlbare Möglichkeiten die eigene Kunst zu präsentieren. Ich denke an nicht-kuratierte Kunstorte wie z.B. »Die Bedürfnisanstalt« in Hamburg-Ottensen http://www.diebeduerfnisanstalt.de – Kunstwettbewerbe, bei denen die Nominierungen anonymisiert und ohne Schielen auf die Vita stattfinden. – GANZ WICHTIG: Künstler*innen müssen an Weiterverkäufen mitverdienen. Bei Weiterverkäufen von Kunst sollte ein fester Prozentsatz (z.B. 5%) dem / der Urheber*in zugute kommen! Technisch könnte dies via NFTs geschehen. Organisatorisch sollte eine gemeinnützige Gesellschaft gegründet werden. Zudem muss es rechtssichere standardisierte Kunstkaufverträge geben, deren Verwendung selbstverständlich freiwillig ist. – Mehr subkulturelle Kreativräume, Kunstfabriken, in denen Kunstschaffende direkt ansprechbar sind … – also z.B. dauerhaft umgewidmete ehemalige Fabrikgebäude oder Kaufhausfläschen mit je ca. 30 bis 60qm-großen bezahlbaren Atelierkojen zum Produzieren von Kunst, für Austausch, Kontakt, offene Ateliers und Kunstmartkt. – Viel Unterstützung und Hilfe bei der Selbstvermarktung, insbesondere im Hinblick auf Social Media. Die meisten bildenden Künstler*innen scheuen nun mal Worte und Selbstdarstellung: schön wären hierfür geförderte Coachings. Ebenso Business Angels für Künstler*innen.
Kannst Du von Deiner Kunst leben?
Ganz klar: Nein! Von dem, was durch Verkäufe hereinkommt, geht das Meiste für Material, Transporte und Mieten drauf. Wenns hoch kommt, kann ich von dem, was übrig bleibt pro Jahr zwei Monate für Essen und anderes Zeugs bezahlen. Ohne Nebenjobs und die mentale wie finanzielle Unterstützung meiner Frau, könnte meine Kunst nicht entstehen.
Wo können wir Deine Kunst „in echt“ sehen?
Nach Absprache immer gerne in meinem Atelier. Bis Ende 2023 sind noch zwei Soloausstellungen fix: 23.9. bis 6.10.: Bedürfnisanstalt in Hamburg Ottensen 15.10 bis 25.11.: KBH Marne (Schleswig-Holstein)